Tumore sind eine Art eigenständiger Organismus im Körper und führen ein Eigenleben. Schon seit langem wissen Forscher, dass sie von eigenen Blutgefäßen ernährt werden, deren Anzahl dem Bedarf des Tumors angepasst ist und deren Entstehung durch komplizierte Mechanismen geregelt wird. Dem Tumor diese Blutversorgung abzuschneiden, ihn praktisch auszuhungern, ist ein wesentlicher Ansatzpunkt heutiger und künftiger Methoden in der Krebsbehandlung. Wenn man auch bereits viel über Tumore weiß, es gibt noch viele ungeklärte Fragen. Was steuert beispielsweise den Tumor, was sagt ihm, ob, wann und wie schnell er wachsen soll?
Welche Einflüsse des Körpers oder der Psyche gibt es, und wie werden diese dem Tumor vermittelt? In dem Bemühen, der Beantwortung dieser Fragen näherzukommen, ist jetzt Forschern der Universität Bonn eine aufsehenerregende Beobachtung gelungen:
Die Forscher konnten erstmalig nachweisen, dass Tumore Nerven enthalten. Die Wissenschaftler untersuchten bislang mehrere Arten bösartige und gutartige Augentumore sowie Gewebsproben von mehreren Harnblasenkarzinomen. Alle analysierten Wucherungen enthielten Nerven. Das bedeutet zweifelsohne, dass die Existenz von Nerven bei Tumoren allgemein üblich sein dürfte. Dennoch sind die Bonner Forscher offenbar weltweit die ersten, die in Tumoren Nerven nachweisen konnten.
Dazu Forschungsleiter und Entdecker der Nervenfasern, Privatdozent Dr. Peter Seifert:
Der Durchmesser und die Verteilungsdichte dieser Nerven sind äußert gering. Wir haben bei jedem Tumor unter hoher elektronenmikroskopischer Vergrößerung wochenlang etliche Präparate analysiert, bevor wir fündig wurden. Die Tragweite der neuen Beobachtungen ist noch nicht abzuschätzen.
Wir schauen nun auch in anderen Tumortypen nach, ob sie Nerven enthalten, erklärt Seifert. Gleichzeitig will die Arbeitsgruppe versuchen, die Botenstoffe der Nerven, die so genannten Neurotransmitter, in Tumoren nachzuweisen. Eine solche Entdeckung würde Rückschlüsse darauf erlauben, wie die Wucherungen durch das Nervensystem beeinflusst werden. Einen Neurotransmitter hat die Arbeitsgruppe schon gefunden: das Neuropeptid VIP.
Seifert: Über Funktionen der Nervenfasern in Tumoren lässt sich im Moment allerdings nur spekulieren. Die Wissenschaftler erwarten jedoch, dass ihre Befunde der Tumorforschung wichtige neue Impulse geben.