Schön ist es, an einem sonnigen Frühlingstag hinauszuwandern und Freude darüber zu empfinden, dass Schnee und Eis und Dunkelheit des Winters wieder besiegt sind von der höher steigenden Sonne. Schön ist es auch, an einem heißen Sommertag in das kühle Wasser zu steigen und nachher in der Sonne zu liegen und sich von ihren Strahlen trocknen und bräunen zu lassen. Gewiss, das sind Beschäftigungen, bei denen man wenig Lust hat, über ernsthafte und schwierige Fragen nachzudenken. Aber es könnte doch sein, dass ein solcher moderner Sonnenanbeter einmal auf den Gedanken kommt, sich zu fragen: Was ist denn das eigentlich, was da oben strahlt und diese Fülle von Licht und Wärme zu mir herunter sendet? Was spielt sich denn auf dieser Sonne ab, dass ich nicht nur gestern und heute und sicher auch morgen und in vielen Jahren dasselbe tun kann; warum leuchtet diese Sonne überhaupt, warum erlöscht sie nicht, warum erkaltet sie nicht wie jedes andere Feuer?
Um diese Frage in ihrer ganzen Bedeutung verstehen zu können, müssen wir uns einmal die von der Sonne ausgesandte Strahlungsmenge vorzustellen versuchen. Die Astronomen haben den Begriff der „Solarkonstante“ geprägt, um anzugeben, wie viel Strahlung uns die Sonne zusendet. Man versteht darunter die Wärmemenge, die 1 Kubikzentimeter der Erdoberfläche in 1 Minute zugestrahlt erhält, wenn die Sonnenstrahlen senkrecht auftreffen und wenn die Erde sich gerade in einer mittleren Entfernung von der Sonne befindet und keine Erdatmosphäre die Strahlung schwächte. Diese Solarkonstante beträgt 1,92 Kalorien. (1 cal ist die Wärmemenge, die notwendig ist, um 1 Gramm Wasser von 15 auf 16 Grad zu erwärmen.) Wenn man das weiß — und es hat Mühe genug gekostet, diesen Betrag zu bestimmen —, dann kann man leicht ausrechnen, wie viel Strahlungsenergie die ganze Erde von der Sonne erhält, und man kann dann auch bestimmen, wie groß die gesamte von der Sonne überhaupt ausgesandte Strahlung ist.
Da die Sonne ihre Strahlung ja nach allen Richtungen in den Raum hinausschickt, erhält die Erde nur einen winzigen Bruchteil davon, nämlich den 2735 millionsten Teil. Wenn aber die von der Sonne ausgesandte Strahlungsmenge bekannt ist, ist es für den Astrophysiker nicht mehr schwer zu sagen, wie heiß die Sonne sein muss, damit sie diese Energiebeträge abgeben kann. Das Ergebnis lautet: Die Sonnenoberfläche ist knapp 6000 Grad Celsius heiß (wer es genau wissen will: 5713°). Erinnern wir uns schnell daran, wie groß die Sonnenoberfläche ist: Der Durchmesser der Sonne beträgt rund 1 390 000 Kilometer. Daraus lässt sich die Oberfläche der Sonne berechnen; sie ergibt sich zum 11 918 fachen der Erdoberfläche. Und diese riesige Sonnenoberfläche muss nun dauernd auf dieser hohen Temperatur gehalten werden. Im Innern steigt die Temperatur sehr rasch an und erreicht im Sonnenmittelpunkt einen Wert von rund 20 Millionen Grad!
Niemand war dort, niemand konnte je ein Thermometer auf die Sonnenoberfläche legen, noch viel weniger im Innern Untersuchungen anstellen.
Aber wir dürfen diesen Werten genau so vertrauen, wie wir bedenkenlos über eine neue Brücke gehen, deren Tragkraft der Ingenieur ja auch nur „berechnet“ hat. Damit trotz der unterbrochenen Energieabgabe die Oberflächentemperatur der Sonne erhalten bleibt — die Geologen behaupten, dass uns während des ganzen Bestehens der Erde, das heißt während etwa dreieinhalb Milliarden Jahren, eine gleich bleibende Strahlungsmenge zugesandt worden sein müsse —, muss ein fortwährender Energiestrom aus dem heißeren Sonneninnern nach außen kommen. Er muss die eigentliche Quelle für die Fülle von Licht und Wärme sein, welche die Sonne so verschwenderisch in den Raum hinaus sendet. Auch die gewaltigen Bewegungsvorgänge, die wir als Sonnenflecken und Sonnenprotuberanzen beobachten, dürften Teile oder Folgen dieses Strahlungsstromes sein. Freilich ist damit noch nichts über die unmittelbaren Ursachen gesagt, welche die Sonnenflecken und Protuberanzen auslösen. Sicher spielen dabei aber in irgendeiner Weise Ausgleichsbewegungen zwischen abgekühlten äußeren Partien und heißen, aus den tieferen Sonnenschichten kommenden Massenteilchen eine Rolle.
Von der Gewalt dieser Vorgänge erhält man am besten eine Vorstellung, wenn man Sonnenaufnahmen mit einem besonderen Kunstgriff macht, nämlich im „einfarbigen Licht“. Das ist eigentlich eine ganz einfache Sache. Jeder Sternfreund weiß, dass man die Sonne photographieren kann. Man kann auch das weiße Sonnenlicht in ein farbiges Band, das Sonnenspektrum, zerlegen. Man kann nun weiter eine Anordnung treffen, die aus dem Spektrum alles Licht, bis etwa auf das von glühendem Wasserstoff ausgesandte, wegnimmt. Photographiert man nun die Sonne, so erhält man an all den Stellen der Sonne ein helles Bild, wo sich, glühende Wasserstoffmassen befinden. Das lässt sich natürlich auch mit anderen Elementen machen, die in genügender Menge in den äußeren Schichten der Sonne enthalten sind. Die beigegebenen Bilder lassen besser als Worte etwas von der Gewalt dieser Vorgänge um Sonnenflecken und Protuberanzen erkennen. Man spricht dabei von spektroheliographischen Aufnahmen (Spektrum — das in das Farbenband zerlegte Licht, Helios — die Sonne).
Aber damit haben wir uns lediglich ein Bild von den gewaltigen Vorgängen gemacht, die sich als Folge der hohen Temperatur auf der Sonnenoberfläche abspielen. Der Frage, wie diese hohen Temperaturen erzeugt werden, sind wir noch nicht näher gekommen. Die Sonne brennt, sagte man früher einfach. Aber man kann eine merkwürdige Behauptung aufstellen: Die Sonne ist viel zu heiß, als dass sie brennen könnte.