Das Ende der öffentlichen B2B-Marktplätze ist da, das Aus für den elektronischen Handel jedoch nicht. Im Gegenteil: Bald machen sich die Investitionen in E-Procurement für Käufer und Anbieter bezahlt. Und schon ist absehbar, dass es letztlich Geschäfte ohne Online-Unterstützung nicht mehr geben wird. „Die öffentlichen Marktplätze sind tot“, konstatiert Ralf Gairing, E-Commerce Consultant beim Stuttgarter Büromittelhändler Kaiser und Kraft (KK).
Verantwortlich für deren frühzeitiges Ableben sei zum Beispiel, dass viele Hersteller und Händler in den Marktplatzanbietern unerwünschte, überflüssige Zwischenhändler sehen. Die Folge: Sie boykottieren die Plattformen. Kaiser und Kraft aber auch der Kraft- und Schmierstoffanbieter Dea weigern sich beispielsweise, ihre Preislisten und Rabatte öffentlich zugänglich zu machen. Sie wollen vermeiden, dass immer nur der jeweils günstigste Anbieter Käufer findet. Auch die Kundenbeziehungen spielen nach Angaben der Händler eine Rolle.
Denn diese gestalteten sich nahezu individuell und definierten sich nicht ausschließlich über den Produktpreis. Vielmehr sei neben Service häufig auch ein jahrelang aufgebautes Vertrauen in den Anbieter und die Ware entscheidend. Bei Hahn und Kolb (H&K) gehen die Dienstleistungen sogar soweit, dass der Stuttgarter Würth-Tochter die Kunden in Sachen E-Procurement berät.
Der Erfahrungsaustausch betrifft sowohl technisches Wissen, zum Beispiel über Schnittstellen zu Backend-Systemen, als auch Erfahrungen bei der Verschlankung von Einkaufs- und Vertriebsprozessen. Lutz Bühler, Mitglied der Geschäftsleitung von Dea Mineralöl & Service, spricht gar von einer Renaissance der Face-to-Face-Kundenbeziehungen: „Ein Ex- und Hopp, heute dieser Geschäftspartner, morgen ein anderer – das gibt es bei uns nicht.“ Die Geschäftsbeziehungen entwickelten sich gegenwärtig zu partnerschaftlichen Verbindungen, die ein Abspecken und die Automatisierung der Prozesse ermöglichten. Letztlich ließen sich Einsparungen auf der Käufer- wie auf der Verkäuferseite nur so erreichen. Bühler äußert zudem die Befürchtung, die Arbeit und Mühe, die sein Unternehmen in die Gestaltung der elektronischen Kataloge und des Sortiments stecke, könnte von den Marktplatzanbietern dazu genutzt werden, für sich Reklame zu machen. Denn der eigentliche Anbieter verschwinde hinter der elektronischen Fassade. Damit träte der Marktplatzbetreiber auf Kosten seiner Mitgliedsfirmen in Konkurrenz zu diesen. All dies beweise, dass das Geschäftsmodell für Markplätze nicht mehr funktioniere, erläutert KK-Experte Gairing. Ihre Berechtigung bezögen die öffentlichen Plätze daraus, Angebote zu sammeln und das günstigste zu vermitteln. Kommt den direkten Kundenbeziehungen jedoch erhebliche Bedeutung zu, sei das Entscheidungskriterium Preis nur noch eines von vielen.
Doch das Absterben der ersten B2B-Generation bedeutet nach Aussagen der Lieferanten keinesfalls das Ende elektronischer Geschäftsbeziehungen. Die Großbetriebe machten Druck, Einkaufs- und Verkaufsprozesse zu automatisieren, berichten die Firmenvertreter aber auch Berater wie Ronald Bogaschewsky. Deshalb sind technisch gesehen Marktplatzkonzepte trotzdem noch im Rennen und machen eine zweite Karriere als integrierter Bestandteil der jeweiligen Unternehmens-DV. Allerdings steht Marktplatzsoftware hier in Konkurrenz zu E-Procurement-Lösungen und zu Teilen von Supply-Chain-Systemen. Da es den Unternehmen hauptsächlich um die Gestaltung von Abläufen im Ein- und Verkauf geht, gibt es auch viele individuell gebastelte Implementierungen. So beginnt für die Anbieter eine E-Business-Lösung mit der Digitalisierung des Warenkatalogs und der Klassifizierung der Produkte. Bei KK gibt es den Katalog derzeit in 16 Sprachen – gedruckt, als CD-ROM und online. Auch Dea sowie Hahn und Kolb bieten längst ihre Ware auf digitalem Weg an. Marco Jauchstetter, H&K-Verkaufsleiter E-Commerce, betont die Wichtigkeit dieses Vertriebswegs: „Das Katalog-Management ist eine unserer Kernkompetenzen.“ Trotzdem finde der Geschäftsverkehr bei H&K noch zu 90 Prozent per strukturierter E-Mail statt. Damit sind XML-Dokumente gemeint, die einen Rahmen vorgeben, in den Text gefüllt wird.
Auch der klassische elektronische Datenaustausch (EDI) ist durch elektronische Marktplätze nicht ausmanövriert. Doch Dea-Geschäftsführer Bühler übt Selbstkritik: „Wir überprüfen, ob EDI noch sinnvoll ist.“ E-Business sei für die Firmen deshalb interessant, weil sie sich damit eine einhergehende Prozessoptimierung erhofften, so Bühler. EDI jedoch werde häufig in Bankverbindungen genutzt und diene dem Bezahlen von Rechnungen. Damit gehe EDI oft am Nerv der Unternehmen vorbei. Zudem gebe es in den bisherigen elektronischen Datenströmen zahlreiche Medienbrüche. Die digitalen Prozesse endeten immer wieder beim manuellen Erfassen von Daten. Deshalb gehe es zunächst einmal um das Eliminieren von Fehlern in den Geschäftsprozessen und dann erst um Einsparungen. Stehen solche in größerem Umfang auch noch nicht ins Haus, so erwarten die Firmenvertreter von KK, H&K und Dea doch schon bald ein Return on Investment ihrer E-Business-Investitionen. Immerhin forcierten die Einkaufsabteilungen der großen Konzerne das elektronische Shopping. Zudem sei es nicht so schwierig, E-Procurement-Lösungen aufzusetzen.
Allerdings habe es bisher an den operativen Systemen und Abteilungen gehapert. So hätte es allzu oft keine entsprechenden Verträge gegeben oder ein internationales Pricing gefehlt. Zudem seien viele Mitarbeiter in der Euphorie des vergangenen Jahres mit den Entwicklungen im E-Business nicht mehr mitgekommen. Die jetzige Rezessionsphase biete die Chance die von den B2B-Umwälzungen Betroffenen zu Beteiligten zu machen. Die Amortisation rührt von der Prozesskostenreduktion her, nicht durch Umsatzzuwächse mittels eines neuen Vertriebskanals. „Diese Zeiten sind vorbei,“ bedauert H&K-Verkaufsleiter Jauchstetter. Nur die ganz frühen Anwender von E-Business-Systemen hätten ihre Einnahmen mehren können. Vielmehr finde eine Umverteilung der Umsätze von den traditionellen auf die elektronischen Verkaufswege statt.